6
Un capitolo un po’ meno dettagliato tratterà del periodo hollywoodiano di
Hollaender che inizia nel 1933, quando si trasferisce negli Stati Uniti per sfuggire alla
persecuzione nazista. In esso fornirò qualche accenno alla sua attività di compositore di
colonne sonore.
Infine, dopo un’ulteriore capitolo storico riguardante il secondo dopoguerra in
Germania, esporrò nei dettagli anche la sua ultima breve fase cabarettistica degli anni
cinquanta. L’ultimo paragrafo riguarderà il suo congedo dal cabaret e l’attività di
scrittore negli ultimi anni della sua vita.
In appendice si troveranno le traduzioni in italiano di quindici testi da me
scelti tra tutte le sue composizioni, correlate di un breve commento, in cui illustrerò le
caratteristiche musicologiche dello stile cabarettistico e giustificherò le mie scelte
stilistiche.
7
2. FRIEDRICH HOLLAENDER: KURZE BIOGRAPHIE
Friedrich Hollaender wurde am 18. Oktober 1896 in London geboren. Er war Sohn
eines Operettenkomponisten und Kapellmeisters namens Victor Hollaender, der damals
beim Zirkus Barnum & Bailey in der englischen Hauptstadt als Dirigent arbeitete. Seine
Mutter, Rosa Perl, war gerade Sängerin in der Zirkusrevue ihres Mannes. In
Hollaenders deutsch-jüdischer Familie pulsierte also Künstlerblut, denn auch sein
Großvater väterlicherseits war ein Liebhaber der Musik und des Theaters gewesen, und
alle drei Söhne hatten diese Neigung von ihm geerbt. Außerdem waren seine beiden
Onkel Gustav und Felix, kleine Berühmtheiten an Berliner Theatern. Der erste war
zudem Leiter des Sternschen Konservatoriums und der zweite Schriftsteller und
Dramatiker. Auf Friedrich Hollaender wurde das Talent einfach weitervererbt.
Im Jahre 1899 zog die Familie nach Berlin, wo sie ursprünglich herstammte, und
wo Victor Hollaender ab 1901 für Wolzogens Berliner Überbrettl, das erste deutsche
Kabarett, komponierte. Ferner arbeitete er auch für das Berliner Metropol-Theater, für
das er die populären Jahres-Revuen schrieb. Dieses Theater wurde später umbenannt
und existiert noch heute als Piscator-Bühne. Seine Popularität verdankte er auch den
zahlreichen Oratorien, Kantaten, Liedern, Singspielen und Operetten, die er neben
seiner kabarettistischen Tätigkeit komponierte.
In Berlin begann inzwischen auch Friedrich Hollaenders musikalische
Ausbildung an der Hochschule für Musik bei Engelbert Humperdinck, wo er sich mit
erst 16 Jahren durch die Komposition eines Liederzyklus auszeichnete. 1913 erschien
dieser im Berliner Virgil-Verlag unter dem Titel Zwei Kinderlieder von Fritz
Hollaender, op. 1. Infolgedessen entschloss sich sein Lehrer, diesen Musterschüler mit
8
einem Ehrenstipendiat in seine Kompositionsklasse aufzunehmen. So begann 1915 sein
Kompositionsstudium, eine „himmlische Zeit“
1
, wie sie Hollaender bezeichnete, wenn
auch leider nur von kurzer Dauer. Als exzellenter Pianist dachte er damals an eine
Karriere als seriöser Musiker im Opernbetrieb. Tatsächlich, wenn er in seiner
Autobiographie über seine erste Bühnenmusik aus dem Jahre 1919 für das Stück Die
Wupper von Else Lasker-Schüler erzählt, notiert er:
„Diese Kunstübung segelte unter der Flagge ‚seriöse Musik’, und
das war doch das Gebiet, auf dem er eines Tages zu glänzen hoffte. Nicht
die ‚leichte Muse’ sollte ihn küssen, wie seinen Vater.“
2
Aber er täuschte sich, und bald wurde ihm klar, wie Theater und Kino sein
Schicksal prägen sollten:
„Theater, Theater! Es war ja das Panorama, in dem ich – wenn auch
von den Eltern behutsam davor geschützt und abgeschirmt – recht eigentlich
aufwuchs.“
3
Seine nächsten Veröffentlichungen, aus dem Jahre 1914, waren aber noch
romantische Lieder für Singstimme und Klavier, Zehn Lieder op. 2, meist Vertonungen
von Texten bekannter deutscher Schriftsteller, unter anderem Else Lasker-Schüler,
Hugo von Hofmannsthal und Heinrich Heine. Zwei Liedern liegt Hollaenders eigene
1
Hollaender, Friedrich, Von Kopf bis Fuß: mein Leben mit Text und Musik, hrsg. und kommentiert von
Volker Kühn, 1. Aufl., Bonn, Weidle Verlag, 1996, S. 39
2
Ebenda, S. 77
3
Ebenda, S. 28
9
Dichtung zugrunde, nämlich Ich liebe dich! und Mädchenlied. In seinem Leben
komponierte er noch einen Liederzyklus (Sechs Lieder für Singstimme und Klavier,
1919), einige Ballette (Die vier Temperamente, 1922) und Operetten (Majestät macht
Revolution, 1930; Pompeji, 1922). Das blieb aber immer eine temporäre Tätigkeit.
Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging Hollaender nach Prag, wo
er als Korrepetitor
4
am Landestheater arbeitete. Während des Krieges versorgte ihn sein
Onkel Felix Hollaender eine Stelle als Orchester-Direktor am Deutschen Theater an der
Westfront im besetzten Frankreich. Diese Arbeit führte ihn kreuz und quer durch
Frankreich und Belgien, wo er Operetten und Schwänke für die Soldaten aufführte.
Auch wenn er vom Kriegseinsatz verschont blieb, ging er manchmal große Risiken ein:
„Einmal, in Cambrai, ließen wir die Nachmittagsvorstellung
ausfallen. War ganz gut, das Theaterchen wurde an dem Nachmittag
abrasiert.“
5
Nach der Kriegserfahrung kam er ernüchtert von Massentod und Elend zurück.
Gerade dadurch hatte er aber begreifen können, wie begabt er war, indem er versuchte,
die Soldaten abzulenken und zu amüsieren, durch eine leichte Musik, bestehend aus
einer Mischung aus Unterhaltung und ernster Musik. Es kam zum Bruch in seinem
bisherigen künstlerischen Leben, denn nach dem Krieg geriet er doch in das Fahrwasser
der “heiteren Muse”
6
, als Mitinitiator und Katalysator der kleinen Kunst des Kabaretts,
in der seine wahre Begabung offensichtlich lag und welche zu einer seiner wichtigsten
4
pianista d’accompagnamento
5
Hollaender, Friedrich, Von Kopf bis Fuß, a.a.O., S. 66
6
Volker, Kühn (Hrsg.) „…und sonst gar nichts!“ Das Friedrich Hollaender Chanson-Buch, Hannover,
Fackelträger Verlag, 1996, S. 10
10
Tätigkeiten wurde. In der Berliner Kulturszene der zwanziger Jahre war Friedrich
Hollaender eines der kreativsten Multitalente und wirkte auch auf dem Gebiet der neuen
deutschen Jazz-Kultur, die sich langsam etablierte, als führende Figur. Er war mit
Stephan Weintraub befreundet, der mit anderen Studienkameraden die erste Berliner
Jazz-Kapelle gegründet hatte, die Weintraub’s Syncopators. Hollaender schloss sich der
Band an, für die er lange Zeit komponierte, arrangierte und oft selbst am Flügel saß.
Am Anfang seiner Karriere als Kabarettist, im berühmten Max Reinhardt
Kabarett Schall und Rauch in Berlin, lernte Friedrich Hollaender die Schauspielerin
Blandine Ebinger kennen, die er 1919 heiratete und die ihm eine Tochter, Philine,
gebar. 1926, nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit seiner Frau, trennte er sich
von ihr. Im selben Jahr komponierte er seine erste Filmmusik zu dem sozialkritischen
Stummfilm Martin Bergers, Kreuzzug des Weibes, der ein großer Erfolg wurde. Der
richtige Durchbruch mit den Liedern gelang ihm 1930 mit der Filmmusik zu Josef von
Sternbergs Film, Der Blaue Engel, nach dem Roman Heinrich Manns, Professor Unrat.
Mit diesem Film, der auch Marlene Dietrich, die Interpretin der Lieder, zum Star
machte, wurde er von nun an ein gefragter Filmkomponist. Zwei Jahre später arbeitete
er für die amerikanische Filmgesellschaft UFA und Ich und die Kaiserin, eine
musikalische Komödie, war sein erster und einziger Film, in dem er selbst Regie führte,
was ihn nicht davon abhielt zusammen mit Franz Wachsmann die Musik zu arrangieren
und die Lieder zu texten. Dieses neue Arbeitsgebiet im Tonfilm, mit dem er sich sofort
einen guten Namen machte, erlaubte ihm während seines Exils in den USA, sich
finanziell gut durchzuschlagen, denn seine kabarettistische Arbeit hatte dort keinen
Erfolg. Deshalb wird die Zeit in Kalifornien als Filmmusik-Periode bezeichnet.
11
Mit der Machtübernahme Hitlers, wenige Tage nach der Uraufführung seines
letzten Films, eben Ich und die Kaiserin, musste Friedrich Hollaender, wie viele andere
Künstler, Deutschland verlassen, nicht nur wegen seiner jüdischen Abstammung,
sondern auch wegen seines politischen Engagements. Mit seiner zweiten Frau, der
Kabarettistin Hedi Schoop, die er 1932 geheiratet hatte, floh er zunächst nach Paris. Er
blieb dort ein Jahr in der deutschen Emigrantengemeinde und floh 1934 weiter ins Exil
nach Hollywood.
Mit dem ersten Geld, das er dort verdiente, versuchte er vergeblich, sein
Kabarett weiter leben zu lassen, das Frederik Hollaender Tingel-Tangel-Theatre, ein so
genanntes Exilkabarett mit englisch gespielten Programmen. Er erzielte damit aber
keinen Erfolg. Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten, die jedoch nicht lange
andauerten, weil sein mittlerweile internationaler Ruhm bald die Oberhand gewann. Als
Filmmusikkomponist gelang ihm endlich den Durchbruch, wobei er für verschiedene
Filmgesellschaften arbeitete: RKO, Fox, Paramount, Universal, Warner Brothers. Die
ungefähr 175 Filme, für die er die Filmmusiken schrieb und in welchen er manchmal
auch mitspielte, verschafften ihm vier Oscarnominierungen (Whispers in the dark,
1937; The talk of the Town, 1942; This is the moment, 1948; The 5000 fingers of Doctor
T., 1953). Viele Lieder, die er für Hollywood-Stars schrieb, wurden unvergessliche
Welthits. Außerdem begann hier auch seine schriftstellerische Betätigung, die er aber
erst in den sechziger Jahren in München, nach seinem Abschied vom Kabarett, wieder
aufnehmen und weiterführen wird.
In der Zwischenzeit verließ er 1944 auch seine zweite Frau und heiratete Leza
Hay. Mit ihr hatte er noch eine Tochter, Melodie. Die Ehe dauerte aber nicht lange und
1946 trennte er sich von ihr, um schließlich Berthe Jeanne Kreder zu heiraten.
12
Während der Hollywood-Jahre kam Hollaender 1952 einmal besuchsweise nach
Deutschland zurück. Nach der schockierenden Besichtigung des Konzentrationslagers
Dachau konnte er sich zunächst eine Rückkehr nicht mehr vorstellen. Die Sehnsucht
nach dem Land seiner Jugend und seiner Sprache war aber größer, und drei Jahre später
zog er doch endgültig nach Deutschland zurück. Trotz seiner Erfolge als Filmkomponist
hatte ihn Hollywood nicht glücklich gemacht.
1955 ließ er sich in München nieder und widmete sich wieder dem Kabarett,
auch wenn er das Filmgeschäft nicht völlig verließ. Der neue Anfang war hier auch
schwierig, und sein erster Versuch, das Musical Scherzo, scheiterte. Bald aber stellte
sich wieder der Erfolg ein, als er für die Bühne Trude Kolmans Die kleine Freiheit
arbeitete. Die Zeit des großen Kabaretts war allerdings vorbei, und 1961 gab er diese
von ihm sehr geliebte Tätigkeit auf. Die Stimmung in Deutschland war nach dem
Zweiten Weltkrieg nicht mehr so günstig für das Kabarett, wie sie es vor 1933 gewesen
war, und trotz seiner immer guten Arbeit konnte Hollaender nur einen mäßigen Erfolg
erzielen. Der Abschied vom Komponieren bedeutete aber nicht, dass er seine ganze
Tätigkeit unterbrach. Tatsächlich schrieb er noch die Musik für Kurt Hoffmanns
Kinokomödie Spukschloß im Spessart und drehte einige Fernsehsendungen, unter
anderem das Portrait Spötterdämmerung – Gespräche mit Friedrich Hollaender, und
Musikalische Spielereien, die aus vielen alten und mehreren neuen Nummern von ihm
bestanden. 1972 erhielt er den Schwabinger Kunstpreis für Musik. Schließlich
konzentrierte er sich aber ganz aufs Schreiben und veröffentlichte seine Autobiographie
sowie wenige andere Bücher.
Friedrich Hollaender starb in München am 18. Januar 1976.
13
3. DEUTSCHLAND NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG:
DIE GOLDENEN ZWANZIGER JAHRE
3.1 Die politische Situation in der Weimarer Republik.
Die Weimarer Republik war der erste Versuch eine demokratische Staatsform auf
deutschem Boden zu errichten. Am 9. November 1918 wurde sie durch den
sozialdemokratischen Politiker Philipp Scheidemann aus dem Reichstagsgebäude in
Berlin ausgerufen und am 30. Januar 1933, mit der nationalsozialistischen Revolution
und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, gestürzt.
Die Geschichte der Weimarer Republik wird von den Historikern im
Allgemeinen in drei Phasen eingeteilt. Die erste umfasst den Zeitraum von ihrer
Entstehung bis zum Ende des Jahres 1923. In diesen Jahren stand die Existenz der noch
wenig stabilen Republik wiederholt auf dem Spiel. Immer wieder drohte das Gefüge des
jungen Staates, durch bürgerkriegsähnliche Aufstände der linken und Putschversuche
der rechten Gegner der Demokratie auseinander zu brechen. Mit der Sanierung der
Währung und der Besetzung des Ruhrgebietes seitens Frankreichs auf Grund der von
Deutschland unausgeführten Reparationsleistungen fing im Jahre 1923 die zweite Phase
an, eine Zeit der wirtschaftlichen Erholung und der relativen politischen
Konsolidierung. Mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland
begann Ende Oktober 1929 der letzte Abschnitt der Geschichte der Weimarer Republik,
der zum einen gekennzeichnet war, durch eine zunehmende Verschlechterung der
wirtschaftlichen Situation und sprunghaft ansteigende Arbeitslosenzahlen, und zum
anderen durch die fortschreitende Auflösung der demokratischen Fundamente.
14
Am Ende des Ersten Weltkriegs im Jahre 1918 verbreitete sich in fast allen
Städten des Deutschen Reiches die Novemberrevolution, die in den Hafenstädten mit
dem Matrosenaufstand angefangen hatte. Überall bildeten sich Arbeiter- und
Soldatenräte, die die sofortige Beendigung der Feindseligkeiten verlangten. Es folgte
die Abdankung des letzten Kaisers, Wilhelms II., und die Übertragung der
Regierungsgeschäfte an Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen
Partei Deutschland (SPD), durch den letzten kaiserlichen Reichskanzler Prinz Max von
Baden. Der Rat der Volksbeauftragten, der am 10. November 1918 als erste
provisorische Regierung gebildet wurde, stellte die Weichen für eine parlamentarische
Demokratie, bis zur Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Nationalversammlung am
10. Februar 1919. Die Wahlen wurden von der SPD gewonnen, die zusammen mit
Zentrum und DDP die Weimarer Koalition bildete. Friedrich Ebert wurde zum ersten
Reichspräsidenten der Republik. Wenige Monate später beschloss er die Weimarer
Reichsverfassung, die auf dem Grundsatz der Volkssouveränität beruhte. Sie sollte den
Bürgerkrieg in Deutschland beenden und ein Friedensvertrag zwischen allen politischen
Gruppen in den neuen Staat sein. Die Parteien der Weimarer Republik zerfielen
allerdings von Anfang an in zwei sich schon in ihrer Grundeinstellung extrem
voneinander unterscheidende Gruppen: Die den neuen Staat bejahenden und ihn
tragenden Parteien, und die die Republik und das parlamentarische System
verneinenden und bis zur Zerstörung bekämpfenden Gruppierungen. Außerdem stand
die Regierung in einem ständigen Abwehrkampf gegen die Kräfte von links und rechts,
die nur das eine Ziel kannten, die Republik wieder zu zerschlagen. Zweimal wurde
tatsächlich einen Putsch versucht.
15
Der erste im März 1920 seitens militanter Rechtskreisen, die die Regierung
stürzen und die Monarchie wieder errichten wollten. Das Berliner Regierungsviertel
wurde besetzt und der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp übernahm die
gesamte Gewalt als Reichskanzler. Die Reichsregierung forderte aber das deutsche Volk
zum Widerstand und die Putschisten gaben es auf. 1923 wurde der zweite Putsch,
diesmal seitens Hitlers, versucht. In Bayern, wo sich seine Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gebildet hatte, nutzte er die sich immer mehr
zuspitzende Situation aus und versuchte die bayrische Regierung zu zwingen, sich offen
gegen die Reichsregierung auszusprechen. Mit dem Marsch auf Berlin, den er
organisierte, wollte er den faschistischen Marsch auf Rom von Mussolini nachahmen
und die Macht in Deutschland übernehmen. Der Versuch aber scheiterte sehr bald, die
NSDAP wurde verboten und Hitler und andere Parteiführer wurden verhaftet und zu
Festungshaft verurteilt.
Am 18. Januar 1919 fing die Pariser Friedenskonferenz an. Infolgedessen
erhielten die deutschen Abgesandten am 7. Mai 1919 den fertig gestellten Versailler
Vertrag ausgehändigt, ohne Möglichkeit es zu verhandeln. Die Bekanntgabe der
Bedingungen rief in Deutschland über alle Parteien hinweg helle Empörung hervor, vor
allem wegen des Kriegsschuld-Artikels, nämlich der These von der Alleinschuld und
Verantwortung Deutschlands für alle Kriegsverluste und Schäden. Es folgte die
Verbreitung der Dolchstoßlegende, die die Revolution für die Niederlage Deutschlands
verantwortlich machte. Dann wurde eine Reparationskommission gebildet, ein
Vollstreckungsorgan mit Kontrollfunktionen die die Leistungsfähigkeit der jungen
Republik ständig überwachte.
16
Die Reparationsverpflichtungen, die Deutschland akzeptieren musste, setzten
zusammen mit den Kriegsfolgelasten die Entwertung der Mark verstärkt fort, die bereits
im Ersten Weltkrieg mit der durch Kredite getragenen Kriegsfinanzierung begonnen
hatte. Die Besitzer von Sachwerten wurden von der großen Inflation kaum betroffen,
aber der gesamte Mittelstand verarmte, weil er keine Sachwerte sondern nur
Geldersparnisse besaß. Jedoch, mit der Errichtung der Rentenbank und durch
Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen, füllten sich die Staatskassen rasch wieder und
die Wirtschaft erholte sich schnell. Außerdem wurde 1924 eine Neuregelung der
Reparationen durch den Dawesplan geschaffen. Dieser neue Finanzierungsplan setzte
erträglichere Jahresleistungen fest und erkannte die Notwendigkeit einer
Erholungspause für die deutsche Wirtschaft. Jedoch stellte sich bald heraus, dass die im
Dawesplan festgelegten Jahreszahlungen von der deutschen Wirtschaft nicht
aufgebracht werden konnten. Deswegen trat 1929 in Paris eine
Sachverständigenkonferenz zusammen, mit dem Ziel, das Problem der deutschen
Reparationen neu zu regeln. Der dort ausgearbeitete Youngplan legte die Höhe der
Reparationssumme und die Dauer der zu leistenden Zahlungen endgültig fest, wurde
aber im Zuge der Weltwirtschaftskrise durch das Abkommen von Lausanne
aufgehoben.
Im Frühling 1922 kamen Deutschen und Russen zu Sonderverhandlungen. Mit
der Schließung des Vertrags von Rapallo nahmen die beiden Staaten wieder
diplomatische Beziehungen auf und verzichteten auf eine Erstattung der durch den
Krieg verursachten Kosten und Schäden. Die Westmächte zeigten sich aber über dieses
eigenmächtige Vorgehen der Deutschen verärgert. 1925 wurde dann das Vertragswerk
von Locarno unterschrieben, das die deutsch-französische und die deutsch-belgische
17
Grenze für unabänderlich erklärte und garantierte. Deutschland, Frankreich und Belgien
verzichteten damit auf eine gewaltsame Veränderung ihrer gemeinsamen Grenzen.
Außerdem wurde in den Locarno-Verhandlungen die Aufnahme Deutschlands in den
Völkerbund verabredet, einen Bund aller Völker der Welt, wodurch zukünftige
Kriegskatastrophen von vornherein unmöglich gemacht werden sollten. Ab 1926 war
also Deutschland wieder ein voll anerkanntes, gleichberechtigtes Mitglied der
Völkerfamilie.
Nach Friedrich Eberts Tod wurde 1925 Paul von Hindenburg Reichspräsident
und, obwohl er sich bemühte sein Amt im Rahmen der Verfassung korrekt auszufüllen,
verbarg er auch nie, dass er ein Anhänger der Monarchie geblieben war. 1930, indem er
den Zentrumsführer Heinrich Brüning zum Kanzler des Reiches ernannte, ohne das
Parlament einzuschalten, berief er eine neue Regierung ohne Bindung an Parteien und
Parlament. Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die in ihrer fortgesetzten
Handhabung in den folgenden Jahren zur Ablösung des parlamentarischen Systems und
zur Ausbildung eines autoritären Präsidialregimes führte. Der neue Kanzler war
außerdem von Anfang an bereit, in enger Anlehnung an den Reichspräsidenten auch
ohne und sogar gegen den Reichstag zu regieren. Sein Hauptziel war ein Ende der
Reparationszahlungen zu erreichen, ohne aber auf die unaufhaltsam ansteigenden
Arbeitslosenzahlen Rücksicht zu nehmen. Die am 25. Oktober 1925 einsetzende
Weltwirtschaftskrise, infolge des Schwarzen Freitags der Wall Street Börse, traf
Deutschland mit voller Wucht. Während in den anderen europäischen Ländern die Krise
allmählich überwunden wurde, weitete sie sich in Deutschland wegen seiner instabilen
innenpolitischen Verhältnisse zu einer gefährlichen Staatskrise aus. Weite Teile der
deutschen Bevölkerung gerieten ins Elend. In dieser katastrophalen Situation setzte der
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Massenzulauf zur NSDAP ein, deren Führer versprachen, das Programm zu haben, das
allein aus Not und Elend heraus und zu neuer Größe des Vaterlandes führen könne.
Nach den Wahlen vom Juli 1932 stellte die NSDAP die stärkste Fraktion im Reichstag
dar. Der Schritt zur Nationalsozialistischen Diktatur war nun sehr klein. Schnell
entwickelte sich eine fortschreitende Auflösung der demokratischen Fundamente. Am
30. Januar 1933 legte schließlich Hitler mit seinem Kabinett als Kanzler den Eid auf die
Verfassung des Weimarer Staates ab.
7
7
Müller, Helmut M., Weimarer Republik (1918-1933), in Schlaglichter der deutschen Geschichte,
Mannheim, F.A. Brockhaus GmbH, 2002
19
3.2 Die soziale und wirtschaftliche Situation
Nach den schrecklichen Kriegsjahren folgte für Deutschland ein neues Zeitalter, wobei
die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen wurden. Dieser
Wandel ermöglichte vor allem eine Verbesserung der Lebensbedingungen der untersten
Schichten. Es wuchsen die Möglichkeiten der Kommunikation und der Motorisierung
auf, in einer Zeit absoluter Technikbegeisterung. Die Zensur war Anfang der Weimarer
Republik aufgehoben worden. Das ermöglichte die Verbreitung der neuen
Massenmedien, zu denen die Tageszeitungen als wichtigste Informationsquelle
gehörten. Die Werbung etablierte dazu eine neue Form der Kommerzialisierung. Das
Radio brachte die ganze Welt ins Wohnzimmer durch die Übertragung von
Sportgroßveranstaltungen und Konzerte, und förderte die Verbreitung von immer
abwechselnden Schlagern
8
und Tänzen mit ganz neuen Rhythmen. Außerdem pflegte
der liberale Geist der Weimarer Reichsverfassung als Grundrechte die allgemeine
Freiheit und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Die Arbeitskraft galt als besonders
wichtig. Für sie entstand, in einem sozialistischen Milieu und gefördert von der SPD
und der KPD (Kommunistischen Partei Deutschlands), ein Netz von Organisationen und
Vereinen, die das alltägliche Leben der Arbeiter bestimmten und ihnen bessere
Arbeitsbedingungen boten. Diese beinhalteten beispielsweise als Erstes die Einführung
des Achtstundentags, der es Arbeitern ermöglichte, sich einer aktiven
Freizeitbeschäftigung zu widmen. Infolgedessen verbreitete sich ein neues
Lebensgefühl, das den Alltag weiterer Bevölkerungskreise mit einem Bedürfnis nach
Unterhaltung und Entspannung prägte.
8
Canzone di successo